Montag, 14. April 2014

„Gute Vereinsarbeit muss gefördert werden!“

Manfred Bosl, ein Vorkämpfer der Integrationsarbeit, erzählt von seiner Arbeit mit Münchner Migranten und stellt das neue Netzwerk MORGEN vor.
Ein Interview von Kosima Irina Graf
Herr Bosl, Sie arbeiten seit 1981 bei der InitiativGruppe – Interkulturelle Begegnung und Bildung e.V. (IG). Die IG unterstützt seit 43 Jahren die Bildungsaktivitäten von Migranten in München. Warum engagieren Sie sich so stark für Migranten?
Bosl
Manfred Bosl
Foto: Kosima Graf
Ich hatte in meinem Leben immer mit Migranten zu tun. Bereits in der Grundschule in Karlsfeld waren die ersten Migrantenkinder, Kinder von Gastarbeitern, von Italienern, Türken, Griechen. Deren Eltern arbeiteten damals alle bei MAN und MTU in Karlsfeld. Die Lebenssituation dieser Familien war nicht einfach. Und dann verhängte meine Heimatgemeinde auch noch einen Zuzugsstopp für Ausländer.
Sind Sie dagegen vorgegangen?
Ich war damals bei den Karlsfelder Jungsozialisten. Gegen die von der SPD geführte Stadtratspolitik gründeten wir den ersten deutsch-ausländischen Verein. Die Auseinandersetzungen damals waren hart. Ich habe sie in meiner Diplomarbeit über Migrationspolitik verarbeitet. Für mich als Student war das ein tolles Lernfeld. Damit war mein Lebensweg irgendwie festgelegt.
Wie kamen Sie zur InitiativGruppe (IG)?
Ich bin nach meinem Studium der sozialen Arbeit 1981 zur IG gestoßen. Wir haben die Einrichtung aufgebaut und über die Jahre ist sie stark gewachsen. Mich begeistert die Möglichkeit, Bildungsarbeit zu leisten und gleichzeitig die politische Situation zu verbessern. Das ist es, was mich  interessiert, und das ist es, was wir hier idealtypisch realisiert haben.
Wie hängen Ihre InitiativGruppe und das Netzwerk MORGEN zusammen?
Die IG hat formal den Antrag zur Gründung des Netzwerks MORGEN an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und bei der Stadt München für die Selbsthilfeförderung gestellt. Sie trägt die Hauptverantwortung für die dreijährige Projektphase von MORGEN, verwaltet die finanziellen Mittel und koordiniert den Vernetzungsprozess.
Welche Rolle spielt das neugegründete Netzwerk MORGEN im Integrationsprozess von Münchner Migranten?
Wir haben ungefähr 30 Vereine, die sich vernetzen wollen. Sie finden es sinnvoll, sich zusammenzutun und über den eigenen Verein und die eigene Zielsetzung hinauszudenken. Es muss sich für jeden Verein lohnen, an diesem Netzwerk mitzuwirken. Deshalb bietet das Netzwerk verschiedene Veranstaltungen wie Fortbildungen für Mitglieder in den Bereichen Public Relations, Förderanträge stellen, Vereinsrecht und vieles mehr. Die Angebote sind vereinsübergreifend. Diese Fortbildungen bieten die Möglichkeiten, außerhalb des Vereins Leute kennenzulernen, zusammenzukommen und voneinander zu lernen.
Haben die Migrantenorganisationen, die am Netzwerk MORGEN teilnehmen, ein Mitspracherecht?
Selbstverständlich! Wir haben den interessierten Migrantenorganisationen mitgeteilt, dass wir jede Entwicklung nur mit ihnen gemeinsam machen werden. Partizipation schreiben wir groß. Die Vereinsvertreter werden in jeden Entscheidungsprozess mit einbezogen. Die IG will vorbildliche demokratische Kommunikationsstrukturen etablieren, die auch nach dem Rückzug der IG in drei Jahren bestehen bleiben sollen. Entscheidend ist die demokratische Absprache: Jeder Verein, ob groß oder klein, hat bei jeder Entscheidung eine Stimme. Das ist für mich ein Akt der Solidarität und Parität.
Welches Ereignis gab den Anstoß zur Gründung von MORGEN, dem Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen?
Das Fass zum Überlaufen brachte der Verein Albanischer Frauen. Dieser Verein wurde ausnahmsweise zehn Jahre in der Selbsthilfe gefördert, hat aber nie den Schritt in die Regelförderung geschafft.
Was meinen Sie mit Regelförderung?
Verbände, wie zum Beispiel die Caritas, werden regelmäßig gefördert. Gemeinnützige Vereine bekommen in vielen Fällen nur eine Projektförderung von höchstens drei Jahren. Nur in Ausnahmefällen kann eine Verlängerung beantragt werden. Eine Regelförderung gibt es auch für kleine Vereine. Sie ist aber aufwändig durchzusetzen, weil die Antragsstellung viel ausführlicher sein muss als ein Projektantrag. Für Migrantenvereine keine leichte Aufgabe, aber gerade sie brauchen eine kontinuierliche Unterstützung. Die gibt es aber nur mit einer Regelförderung.
Wie kann MORGEN dabei die Vereine unterstützen?
Die Migrantenorganisationen brauchen ein Minimum an Kenntnis des Verwaltungsrechts, ein gewisses Know-how, um den Übergang von der Selbsthilfeförderung in die Regelförderung zu schaffen. Und MORGEN will genau diese Brücke bauen mit Beratung und Schulungen im Vereinsrecht.
Migration früher, Migration heute – haben sich die Migranten verändert? Gibt es eine neue Generation von Migranten?
Dass es uns mit MORGEN gelungen ist, Migrantenvereine in größerer Zahl zusammenzuführen, hat viel damit zu tun, dass ein Generationswechsel an der Spitze der Organisationen stattgefunden hat. Die Vereine kooperieren ganz anders untereinander, weil die alten innerethnischen Konflikte in den Hintergrund getreten sind. Ich habe die Hoffnung, dass mit den jungen Leuten eine Generation heranwächst, die internationaler denkt, aber trotzdem der eigenen Gruppe verbunden bleibt.
Wie sieht die Situation für Migranten in München aus?
Wir müssen festhalten, dass Migranten, was Status und Bildung betrifft, gegenüber der einheimischen deutschen Bevölkerung generell benachteiligt sind. Das ist der Grund, warum es für Migranten wichtig ist, sich in Selbsthilfeorganisationen zusammenzuschließen, um diese Defizite aus eigener Kraft zu bewältigen. Allein 2013 kamen 25 000 Menschen nach München. Diese Neuzuwanderer brauchen Communities, um Zugang zu den Organisationen der Mehrheitsgesellschaft zu erlangen.
Bosl
Immer aktiv: Manfred Bosl
Foto: S. Sakkal
Kann da auch MORGEN aktiv werden?
Das Netzwerk will die Verbindung der Migranten zur Verwaltung und zur Politik herstellen und das nötige Wissen vermitteln, wenn es darum geht finanzielle Unterstützung einzufordern, zum Beispiel um Räume für Veranstaltungen zu mieten und Dozenten zu bezahlen. Für ein Netzwerk ist es einfach leichter als für einen einzelnen Verein, Politiker für Veranstaltungen zu gewinnen, damit Migranten den Dialog mit ihnen führen können.
Rassismus in München – ein Problem?
Studien belegen, dass ausländische Jugendliche bei der Arbeitssuche trotz guter Qualifikationen allein aufgrund ihres Namens diskriminiert werden. Aber wegen der guten wirtschaftlichen Lage Münchens haben wir es bei der IG in den 80iger Jahren geschafft, die Jugendlichen, die wir betreut haben, alle in Ausbildung zu bringen. Wirtschaftlich gesehen hat München für Integration zunächst einmal das Wichtigste anzubieten: Schulplätze, eine Ausbildung und eine gute Arbeit. Hinzu kommt noch, dass wir in München ein internationales Flair haben, das durch die international agierenden Betriebe entsteht. Und diese Atmosphäre der Offenheit hat Bestand.
Integration in Deutschland – wohin geht die Entwicklung?
Die neue Entwicklung begann mit dem Integrationsgesetz der rot-grünen Bundesregierung von 1999. Die Bundesregierung hat erkannt, dass durch die demografische Entwicklung viele Wirtschafts-, Sozial- und andere Lebensbereiche gefährdet sind. Deshalb wollen wir heute Zuwanderung haben, und wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen auch gut ausgebildet werden. Dank des Integrationsgesetzes ist das auch möglich, denn es gibt Integrations- und Sprachkurse sowie Integrationsberatung – Deutschland ist attraktiv für Zuwanderung geworden.
Welches Thema beherrscht 2014 die Integrationsdebatte?
Die Diskussion um Inklusion beeinflusst auch die Debatte um Integration. Inklusion heißt, dass der Staat alles tun muss, um behinderten Menschen die umfassende Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dass dies Zeit braucht und Geld kostet, das ist vielen Menschen inzwischen klar. Bei den Migranten müsste man dasselbe Prinzip anwenden. Ich bin aber überzeugt, dass wir in dieser Hinsicht in den nächsten Jahren große Fortschritte machen werden. Die Gesellschaft versteht inzwischen, dass beides notwendig ist – Inklusion und Integration.
Welches Ereignis hat Sie besonders bewegt?
1991 wurden im sächsischen Hoyerswerda ein Wohnheim für Vertragsarbeiter sowie ein Flüchtlingswohnheim angegriffen. Menschen kamen ums Leben. In München versammelten sich damals 500 000 Menschen auf der Straße und bildeten eine Lichterkette Das war ein unglaubliche Solidaritätsbekundung. So eine Aktion hätte vorher in München niemand für möglich gehalten. Diese Stimmung hat sich bis zum heutigen Tag erhalten.
Herr Bosl, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Donnerstag, 27. März 2014

Von der Notwendigkeit Alternativen zu leben

Ein Kommentar von Kosima Graf

Der Kapitalismus tötet?

Foto: Colours-Pic, Fotolia
Foto: Colours-Pic, Fotolia
„Der Kapitalismus tötet“, lehrt Papst Franziskus in seinem Evangelii Gaudium. Dieser provokante Satz avancierte in den Medien mit dem Tenor, dass es klüger sei, den Kapitalismus zu modifizieren, ihn zu reparieren, als ihn abzuschaffen. Ist eine solche Reparatur denn möglich? Hat der Papst mit seiner Aussage nicht vielleicht doch Recht? Tötet das Wirtschaftssystem des Kapitalismus nicht Millionen Menschen durch Ausbeutung, Hunger und Elend? Tötet sich unser kapitalistisches Wirtschaftssystem am Ende nicht selbst und damit auch uns, weil unsere Ressourcen, beispielsweise fossile Energien, endlich sind? Verteilungskämpfe drohen, die apokalyptische Ausmaße annehmen können, bedenkt man die weltweite atomare Hochrüstung. Wird der Kapitalismus Millionen durch Wirtschaftskriege töten? Die Möglichkeit besteht. Machen wir uns nichts vor, der Zukunftsoptimismus der Baby-Boomer-Generation ist verschwunden. Denn das Versprechen einer weltweiten Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Menschen durch Kapitalismus und technischen Fortschritt wurde nicht eingelöst. Die Transformation der westlichen Industrie-Gesellschaft zu einer Green Economy ist und bleibt neoliberal und kann die Ressourcenverschwendung nicht stoppen.

Wohlstand für wenige

Der Fall der Mauer 1989 bedeutete eine Zäsur, das Ende einer Systemkonkurrenz zwischen Planwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft, das Ende der Parole „Wohlstand für alle“. Im Jahr 2013 profitieren zunehmend weniger Menschen vom weltweiten Siegeszug einer grenzenlosen Marktwirtschaft, einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, eines Konsumismus, der im Gewand grenzenloser Konsumfreiheit für Gutverdiener auftritt, einer Verschwendungskultur, die weltweit Abfallberge ins Unendliche produziert. Lediglich Krisenerfahrungen machen uns im noch vorhandenen Wohlstand bewusst, dass unser Überleben von Werten abhängig ist, die sich jeder Marktlogik entziehen, wie Vertrauen, Liebe und Selbstlosigkeit.

Die Krise ist Alltag

Machen wir uns nichts vor, wir leben im Zustand der Neurose, der Verdrängung. Statistisch gesprochen: Die Kurve des Material- und Energieverbrauchs und der Emissionen verläuft steil nach oben bei gleichzeitig steigendem Umweltbewusstsein. Wir konsumieren immer mehr bei zunehmend schlechtem Gewissen. Apokalypsebewusstsein und Zerstörungswut führen in jedem von uns eine friedliche Koexistenz. Warum ist das so? Wir handeln im kulturellen Kontext eines kapitalistischen Systems, das auf Wachstum basiert. Wachstum ist Staatsaufgabe, staatliche Konjunkturprogramme garantieren Wachstum. Wachstum ist geradezu ein zivilreligiöser Begriff. Die Frohe Botschaft der Wachstumsideologie, Merkels Paraphrase aus der Bibel, bringt es auf den Punkt: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“ Die ganze Alternativlosigkeit politischen und individuellen Handelns gipfelt in diesem Satz unserer Bundeskanzlerin.

Gibt es Gegenstrategien?

Foto: Colours-Pic, Fotolia
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Machen wir uns nichts vor, politischer Protest ist wirkungslos. Weltweit agieren nach einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich 147 internationale Unternehmen, die 40 Prozent des weltweiten Unternehmenswertes halten und dank ihrer Vernetzungsarchitektur Volkswirtschaften aufbauen oder auch ruinieren können. Wir alle, die Bürger, die Parteien und die Regierungen befinden sich in einer schlechten Verhandlungsposition. Die Machtkonzentration dieser neuen Trustokratie ist mit den alten Mitteln der gesetzlichen Kontrolle nicht wirksam zu bekämpfen.Wo liefen die bisherigen Linien des Protests, des Widerstands? Schon seit Jahrzehnten arbeiten Organisationen wie Robin Wood und Greenpeace mit den Mitteln des Campaignings. Aktionsformen sind: spektakuläre und riskante Störungen des Normalbetriebs, Konsumboykott-Maßnahmen und Carottmobs mit Aufrufen per Smartphon zum nachhaltigen Konsum.

Konsumstrategische Maßnahmen greifen zu kurz

Denn für uns alle geht es um die Rückeroberung politischer Gestaltungsmacht mit dem Ziel einem entfesselten Kapitalismus Grenzen zu setzen und den gigantischen Umverteilungsprozess, der seit der Finanzkrise 2008 öffentliches Vermögen in privates transformiert, wirksam zu unterbrechen. Ein wirtschaftlicher Strukturwandel braucht eine neue, mentale Infrastruktur einer kritischen Masse von „selbstdenkenden Menschen“. Harald Welzer, der Berliner Sozialpsychologe und Vorsitzender der Stiftung Futurzwei, hofft auf die drei bis fünf Prozent von Unternehmern und Vorständen, die drei bis fünf Prozent der Unterhändler auf internationalen Klimaverhandlungen, die drei bis fünf Prozent der Staatschefs, der Professorenschaft, der Lehrer, der Journalisten und anderer Berufsgruppen, die beginnen, die Dinge anders zu machen.

Aussteiger sind wieder gefragt

Sie brauchen die Unterstützung durch Medien, Betriebsräte, Sponsoren oder Kommunen um unsere gegenwärtige Alternativlosigkeitskultur zu unterwandern. Ein guter Umgang mit der Welt, das lehrt die Literatur, hat mit rationalem Wissen nichts zu tun, sondern gründet sich auf Wünsche, Träume, Gefühle und auf eine Lebenspraxis, die sich vom Ökonomiediskurs abkoppelt. Anders- und Querdenker erzählen neue Lebens- und Unternehmensgeschichten, wie Christian Felber, der Vorsitzende von Attac Österreich in seinen Büchern zur Gemeinwohlökonomie, Heini Staudinger, der 1990 die Firma GEA (die Erdmutter Gaia als Namenspatin) gründete oder Simon Scholl und Daniel Überall mit ihrem Kartoffelkombinat. Denn irgendwann tötet der Kapitalismus nicht mehr, sondern ist selbst wirklich tot, begraben in den Geschichtsbüchern. Aber das ist wieder eine neue Geschichte.

Geschichten zum Selbstdenken und Nachlesen:

Welzer, Harald, Selbstdenken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt a. Main 2013.

www.adz-netzwerk.de
www.backhausen.com/returnity.php
www.futurzwei.org
www.gea.at
www.gruene-helden.de
www.kartoffelkombinat.de
www.recyclingdesignpreis.org
www.regionalwert-ag.de
www.rolfdisch.de
www.schmidttakahashi.de
www.stiftung-intact.de